SERBIEN

Allgemeine Informationen

Serbien gehört zum sogenannten ‚Westbalkan‘ und ist eines der wichtigsten Transitländer der ‘Balkanroute’. Es grenzt im Osten an Rumänien und Bulgarien, im Norden an Ungarn und im Westen an Kroatien, Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro. Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik gehört mit ca. 7 Millionen Einwohner*innen zu den größten Ländern der Region.

Serbien ist seit dem 1. März 2012 offizieller EU-Beitrittskandidat.  Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine betonte die EU wiederholt ihre Bemühung, Serbien schnell Teil der EU werden zu lassen. Die Umsetzung eines tatsächlichen Beitritts bleibt jedoch fragwürdig, da Serbien noch nicht alle EU-Beitrittsvoraussetzungen erfüllt, beispielsweise liegen noch immer erhebliche Mängel in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte, Meinungsfreiheit und weitere demokratische Grundprinzipien vor. Darüber hinaus  orientiert sich Serbien außenpolitisch vor allem an Russland und China und pflegt zu diesen Staaten freundschaftliche Beziehungen, während gegenüber der EU und dem Westen nach innen eine stark kritische Rhetorik gepflegt wird.

Allgemeine Informationen

Dies zeigt sich z.B. auch daran, dass Serbien kein NATO-Mitglied ist und Sanktionen gegen Russland, auf Grund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, nicht mitträgt. Ein weiterer Streitpunkt mit der EU ist, dass Serbien das Kosovo noch immer nicht als einen autonomen Staat anerkennt. Allgemein zeigt sich jedoch auch im Land selbst eine wachsende europakritische Haltung: Eine Umfrage hat gezeigt, dass im April 2022 44% der Bevölkerung einen EU-Beitritt ablehnen würden.

 Dies liegt womöglich auch an der dominanten Stellung des Staatspräsidenten Aleksandar Vučić und seiner Partei – der „Serbischen Fortschrittspartei“ (SNS), welcher mehr als 10 Prozent der Bevölkerung angehören und dessen Regierungsstil zunehmend autokratische Züge aufweist. Mit den Wahlen im April 2022 wurden mehrere rechtsextreme Parteien Teil des serbischen Parlaments, welche für ihre migranten- und fremdenfeindlichen Äußerungen bekannt sind.

Situation für People on the Move

Wer nach Serbien einreist, kann ein Asylgesuch auf einer Polizeistation stellen. Darauf folgt die Zuweisung zu einem Platz in einem Camp, in dem man sich innerhalb von 72 Stunden melden muss. Nach Ablauf dieser Zeit verfällt nicht nur der Anspruch auf den Platz, sondern die Asylsuchenden gelten fortan als illegal. Dass das Asylgesuch-Formular in serbischer Sprache verfasst ist, bereitet weitere Schwierigkeiten.

Allgemein wird der Zugang zum Asylverfahren sehr kompliziert gestaltet und von staatlicher Seite gar nicht bzw. kaum gestützt. Zum Beispiel wird im staatlich organisierten “One Stop Point” ein Platz in einem Camp zugewiesen, ohne den Zugang zu einem Asylverfahren zu ermöglichen. Seit der Einrichtung des nationalen Asylsystems im Jahr 2008 bis Ende März 2020 haben 647.512 Personen ihre Absicht bekundet, Asyl in Serbien zu beantragen. Die  Zahl der Personen, denen der internationale Schutzstatus gewährt wurde, ist mit 173 nach wie vor gering.

Da Serbien einem Großteil der Ankömmlinge den Zugang zum Asylsystem verwehrt, haben viele Menschen keine Aufenthaltsgenehmigung und halten sich illegal im Land auf. Es mangelt an systemischen Lösungen und wirksamer Koordinierung zwischen den staatlichen Behörden. Darüber hinaus behindern Rechtslücken und eine uneinheitliche Durchsetzung der bestehenden Gesetzgebung, dass das Asylrecht sowie viele andere Flüchtlingsrechte angewandt werden können.

Situation für People on the Move

Die intensivierte europäische Migrationskontrolle führt dazu, dass viele Menschen in Serbien ‚festsitzen‘ und sogenannte ‚Hotspots‘ an Serbiens Grenze zu Rumänien, Kroatien und Bosnien Herzegowina entstanden sind. Auf Basis der Daten von Frontex kommt die serbische Organisation Klikaktiv zu dem Resümee, dass die Zahl der Migrant*innen in Serbien fast so hoch sei wie zur Zeit des langen Sommers der Migration 2016. Menschen leben sowohl in offiziellen Camps (Transit- oder Asylzentren) als auch in selbstorganisierten inoffiziellen ‘Squads’. Die Situation in den ‘Transitzentren’ wird von Bewohner*innen als katastrophal beschrieben: Es gäbe kaum oder zu wenig Essen und die Camps seien vollkommen überfüllt. Die Situation in den Asylzentren soll besser sein.

Bezüglich der Squads beobachtet Klikaktiv, dass diese v.a. an der serbisch-rumänischen, als auch serbisch-ungarischen Grenze entstehen. Squads werden dabei regelmäßig von der Polizei geräumt. Bewohner*innen werden entweder in menschenunwürdige Transitlager oder in den Süden an die Grenze zu Nord-Mazedonien gebracht. Neue Berichte zeigen sogar, dass Menschen über die serbische Grenze hinweg  direkt nach Nordmazedonien abgeschoben werden.

Im Zuge der EU-Beitrittsgespräche wird Serbien dazu verpflichtet, an der Abschottung der Europäischen Union mitzuwirken. Es findet eine Harmonisierung der serbischen Gesetzgebung mit EU-Richtlinien statt. In Bezug auf Migration ist geplant, die Dublin-Verordnung und die EURODAC Datenbank noch vor EU-Mitgliedschaft zu implementieren. Möglich ist, dass Serbien Teil des ‘Balkandac’-Systems wird, einer nationalen biometrischen Datenbank mit Informationen zu Migrant*innen, die technisch an die EURODAC Datenbank angelehnt ist.

Teil der Europäisierung Serbiens sind auch sogenannte ‘Readmission-Agreements’, welche Serbien bereits 2007 mit der “Europäischen Community” geschlossen hat. Readmission-Agreements beinhalten (a) EU-Visaliberalisierung für serbischen Staatsbürger:innen und führen (b) dazu, dass Drittstaatsangehörige, die über Serbien illegal in die EU einreisen, offiziell nach Serbien abgeschoben werden dürfen. Klikaktiv dokumentiert, dass dies häufig der Fall war, wenn Menschen über Serbien nach Rumänien gereist sind, um dort Asyl zu beantragen. Im Zusammenspiel mit (a) dem neuen “Law on Foreigner”, welches beinhaltet, dass Asylverfahren beschleunigt werden und (b) Rücknahmeabkommen, welche Serbien geplant hat mit Afghanistan, Pakistan, Irak und Marokko zu unterzeichnen, können die Readmission-Agreements für Kettenabschiebungen von Menschen missbraucht werden.

Klikaktiv berichtet z.B. von einem Fall bei dem ein Mensch von Ungarn nach Serbien rückübernommen wurde, auf Grund der Unzulänglichkeiten des Serbischen Asylsystems in Serbien kein Zugang zu Asyl erhalten hat, sondern eine Abschiebung in sein Heimatland Tunesien. Milica Svabic, eine serbische Anwältin, äußert die Sorge, dass Serbien mit finanzieller Unterstützung der EU zukünftig deutlich mehr (Ketten-)Abschiebungen durchführen wird. 

Aktuell baut Serbien mit an der Serbisch-Nordmazedonischen Grenze eine Zaunanlage, auch dies stellt gemäß einem Lokalpolitiker ein Prozess der “Europäisierung” Serbiens dar.

Serbiens hat ein ‘Working Agreement’ mit Frontex. Aktuell sind Frontex Beamt*innen an den serbischen Grenzen zur EU hin stationiert. Auf Basis eines Vorstoßes der EU-Kommission kann jedoch angenommen werden, dass Frontex künftig auch an Serbiens Grenzen zu Drittstaaten wie z.B. Nordmazedonien oder Montenegro stationiert wird. Darüber hinaus gibt es bereits jetzt Berichte über ‘Joint Patrols’ von europäischen und serbischen Polizeibeamt*innen. Auch bei den ‘Joint Patrols’ kommt es zu Gewalthandlungen und illegalen Abschiebungen.

Unterstützungsstrukturen

Neben diesen internationalen Organisationen gibt es viele weitere lokale und internationale, sowie institutionalisierte und nicht institutionalisierte Organisationen. Berichten zur Folge arbeiten institutionalisierte Organisationen, die besseren Zugang zu großen internationalen Fördertöpfen haben, v.a. mit Menschen, die sich in offiziellen Asylsystem befinden. Kleinere, oft primär durch Spenden oder Stiftungen finanzierte Organisationen arbeiten mit Menschen, die sich in Serbien außerhalb des institutionalisierten Systems befinden. Dies macht in Serbien, aufgrund der Unzulänglichkeiten des Asylsystems, jedoch einen Großteil der Schutzsuchenden aus. Organisationen vor Ort berichten häufig davon, dass sie aufgrund ihrer (finanziellen) Kapazitäten  die Bedarfe von People on the Move nicht ausreichend abdecken können, v.a. Bedarfe von besonders vulnerablen Gruppen bleiben oft unerfüllt.

Stand: Februar 2023

Videos zur aktuellen Situation in Serbien

Wir haben mit Aktivist*innen und People on the Move über Serbien als Außenposten der europäischen Abschottungspolitik gesprochen und zeigen euch in den Videos die aktuelle Situation und wie es dazu gekommen ist.

Hast du schonmal vom EU-Pact on Migration gehört? Im Video erfährst du, was der Pakt beinhaltet und warum wir den Pakt kritisch betrachten.

Aktuell sind die „Balkanroute“ und die Situation von People on the Move in Serbien medial sehr präsent. Das Video beleuchtet, worum es sich bei der „Balkanroute“ handelt und wie sich die EU-Migrationspolitik auf die Situation in Serbien auswirkt.

Wie funktioniert eigentlich Frontex? Und was genau machen sie auf der sogenannten Balkanroute? Wir haben mal genau hingeschaut und eine Zusammenfassung erstellt.

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