Die Drina – ein Fluss als tödliche Grenze
Seit Oktober 2023 weichen People on the Move wegen verstärkter Grenzschutzmaßnahmen zwischen Serbien und Ungarn sowie mehr Polizeipräsenz im Norden Serbiens wieder häufiger auf die Route über Bosnien-Herzegowina nach Kroatien aus. Wo der „Grenzschutz“ verstärkt wird, werden die Fluchtrouten gefährlicher – etwa über den Fluss Drina.
Die Drina ist kein unbekannter Fluss. Bereits in den 1990er Jahren, der Zeit der Jugoslawischen Zerfallskriege, war er ein bekannter Korridor, über den Waren über die Grenze geschmuggelt wurden. Schon damals war der Fluss auch dafür bekannt, leblose Körper in die Dörfer „zurückzubringen“. Jahrzehnte später wird er wieder zum Symbol für Verlust und Stille. Unser Partnerprojekt KlikAktiv hat im Rahmen eines umfangreichen Projektes einen Bericht veröffentlicht, auf den wir gerne aufmerksam machen möchten. Das Original könnt ihr hier downloaden.
Todesursache: Ignoranz und Gleichfültigkeit
Die Drina ist mittlerweile ein Hotspot für gefährliche Grenzüberquerungen entlang der sogenannten Balkanroute geworden. Besonders im Sommer, wenn der Wasserstand sinkt, versuchen immer mehr Menschen, mit überladenen Booten oder sogar zu Fuß über den Fluss zu gelangen. Diese Versuche enden tragischerweise immer wieder mit tödlichen Unfällen. Eine der schlimmsten Katastrophen ereignete sich in der Nacht vom 21. auf den 22. August 2024, als ein überfülltes Boot kenterte und 12 Menschen, darunter ein neunjähriges Baby, ertranken. Solche tragischen Ereignisse verdeutlichen nicht nur die extremen Gefahren auf dieser Migrationsroute, sondern auch die Dringlichkeit koordinierter humanitärer und politischer Antworten.
Zwischen 2020 und 2024 wurden mindestens 44 Leichen entlang des Flusses geborgen, die Dunkelzahl ist mit Sicherheit wesentlich höher. Viele Leichen sind so stark verwest, dass weder die Todesursache noch das Geschlecht der Person bestimmt werden können. Die Gräber bleiben oft anonym, ohne Markierungen oder Verweise, was es den Angehörigen unmöglich macht, ihre verschwundenen Familienmitglieder wieder zu finden. People on the Move sterben im Stillen, oft ohne dass ihre Geschichten gehört oder dokumentiert werden.
Institutionelle Mängel und der Profit aus Tod und Leid
KlikAktiv beklagt eine mangelnde insitutionelle Priorisierung des Themas, unzureichende Unterstützung der Familienangehörigen und Nachlässigkeit bei der Identifizierung der Verstorbenen. Bei ihren Besuchen haben sie festestellen müssen, dass viele Gräber lediglich mit „N.N.“ (nicht identifiziert) gekennzeichnet waren und weder das Todesjahr noch eine Referenznummer mit Bezug zu Autopsie/DNA-Proben enthielt. Die Gräber befinden sich zudem meist in den abgelegensten Ecken der Friedhöfe – überwuchert von Sträuchern und Unkraut, und manchmal nahe an Straßen oder Bahngleisen. Wie so oft sind es zivilgesellschaftliche Organisationen, religiöse Gemeinschaften und lokale Einzelpersonen, die die staatlichen Versäumnisse aufzufangen versuchen. Einer von ihnen ist Nihad, mit dem auch wir für unser Magazin „8 Jahre seit dem ‚March of Hope‘ – Geschichten von und Perspektiven auf die ‚Balkanroute'“ führen durften. Den Artikel findet ihr zum download hier.
Die mangelnde Effizienz der Institutionen hat nicht nur das Vertrauen in die staatlichen Stellen erschüttert, sondern auch dazu beigetragen, dass Schmuggelnetzwerke florieren. Zeug*innen berichten von „Premium-Paketen“ , die garantieren sollen, dass im Falle eines Todes die Identifizierung und Bestattung der Opfer erfolgt und die Familien informiert werden – natürlich gegen Bezahlung. Diese Praxis zeigt, dass aus dem Leid der Menschen Profit geschlagen wird, selbst im Angesicht des Todes.
Die Stimmen, die in dieser Tragödie wirklich zählen – die der Überlebenden, der Familien, der Helfer*innen, die täglich Zeug*innen des Elends werden – werden zu oft überhört. Diese Menschen kämpfen nicht nur gegen die physische Grenze, sondern auch gegen die unsichtbare, institutionelle Mauer der Gleichgültigkeit. Ihnen gilt es zuzuhören und Raum zu schaffen für Protest.
Unsere Freund*innen von KlikAktiv bleiben dran, dokumentieren, skandalisieren und fordern die Politik zum Handeln auf. Wenn ihr ihre Arbeit unterstützen möchtet, dann tut das gerne mit einer Spende über uns. In politisch stürmischen Zeiten bleibt die Solidarität mit den Aktivist*innen vor Ort extrem wichtig!