Stopp die GEAS-Reform: Eine Perspektive aus dem europäischen Grenzgebiet

Wir, Initiativen und Organisationen, die entlang der „Balkanroute“ arbeiten, beleuchten die katastrophalen und unmenschlichen Folgen, die die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) haben könnte, mit einem besonderen Fokus auf eine südosteuropäische Perspektive. Anfang Dezember wird die geplante Asylrechtsverschärfung in einem Trilog zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Rat der Europäischen Union diskutiert. Sollte das EU-Parlament bei den geplanten Regelungen einen Kompromiss eingehen, könnte das Asylsystem abgeschafft werden!

Seit Jahren nutzt die Europäische Union, in die nur ein kleiner Teil der derzeit weltweit 114 Millionen Menschen auf der Flucht gelangt, ihre Nachbarländer, um ihre Migrations- und Grenzpolitik „partnerschaftlich“ auszulagern. Die Kooperationsbereitschaft dieser Staaten wird vor allem durch das Versprechen einer Visaliberalisierung, finanzielle Anreize durch EU-Beitrittsgelder und Druck im Hinblick auf den Beitritt zur Europäischen Union und zum Schengen-Raum sichergestellt.

Die nun geplanten Reformen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems wird diese von Ausbeutung und politischem Druck geprägte Beziehung, in der die Länder des „westlichen Balkans“ als „Vorposten“ der EU-Migrationspolitik und gleichzeitig als europäischer „Hinterhof“ vorgesehen sind, noch verstärken. Länder in Südosteuropa, wie Bosnien und Herzegowina oder Serbien, werden zu „sicheren Drittstaaten“ und „Abschiebezonen“ für Menschen, die in der EU Schutz suchen.

Wir wenden uns daher an die Abgeordneten des EU-Parlaments, an die EU-Kommission und den Rat und appellieren entschieden gegen die geplante Verschärfung des Asylrechts! Die Auslagerung der Asylverpflichtung der EU, die Inhaftierung und Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht muss verhindert werden!

Rückübernahmeabkommen führen zu einer Legalisierung von Pushbacks

Seit 2005 haben verschiedene Länder Südosteuropas Rückübernahmeabkommen mit der EU unterzeichnet. In diesen Abkommen verpflichten sich die Länder des „westlichen Balkans“ zur Rückübernahme von Staatsangehörigen, die in der EU „illegalisiert“ sind, sowie von so genannten „Drittstaatsangehörigen“, wenn sich diese zuvor in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben. Die Abkommen können dazu genutzt werden, den im Völkerrecht verankerten Grundsatz der Nichtzurückweisung zu umgehen.
Als Folge der geplanten GEAS-Reform werden Rückübernahmen drastisch zunehmen. Menschen, die im Rahmen der geplanten „Grenzverfahren“ keinen Schutz erhalten, werden in die „Westbalkanstaaten“ zurückgewiesen. Zudem wird die bloße Durchreise durch ein Land Grund genug sein, im Rahmen eines Rückübernahmeabkommens dorthin abgeschoben zu werden. Damit werden möglicherweise fast alle Menschen, die auf der „Balkanroute“ unterwegs sind, von diesem Verfahren betroffen sein. Laut EU-Kommission bilden diese Rückübernahmeabkommen das „Rückgrat“ der Zusammenarbeit mit den „westlichen Balkanstaaten“. EU-Länder wie Rumänien und Ungarn schieben bereits jetzt eine große Anzahl von Drittstaatsangehörigen, darunter auch Menschen, die internationalen Schutz suchen, in Nicht-EU-Länder wie Serbien ab, ohne dass der Schutzbedarf oder die Asylanträge wirksam geprüft werden.

Serbien ist ein guter Partner für die EU, und unsere Regierung wird alles unterschreiben, was verlangt wird und was nötig ist. Serbien hat die Aufgabe, die Flüchtlinge hier zu halten, den Schmuggel zu stoppen und zu verhindern, dass die Menschen weiter in die EU gelangen„, erklärt Milica Svabic von der serbischen NGO KlikAktiv – Center for Development of Social Policies.

Es wird deutlich, dass die EU nicht nur ihre Verantwortung an Nicht-EU-Staaten auslagert, sondern auch in Kauf nimmt, dass diese Verfahren dazu genutzt werden, rechtswiedrige gewaltsame Pushbacks zu legalisieren. Der Zugang zum Territorium ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Asyl und muss unter allen Umständen gewährleistet werden.
Sanela Lepirica von der bosnischen NGO INTERGreat berichtet, dass die Instrumentalisierung von Rückübernahmeabkommen in Bosnien und Herzegowina bereits Realität ist: „Von Januar bis Mai dieses Jahres wurden im Rahmen eines Rückübernahmeabkommens 5.000 Menschen aus Kroatien nach Bosnien abgeschoben. Es bestehen berechtigte Zweifel daran, dass bei diesen Rückübernahmen die erforderlichen rechtlichen und administrativen Verfahren eingehalten wurden.“

Ihre NGO sammelt derzeit mit Unterstützung von Anwält:innen Zeug:innenaussagen von Betroffenen, um gemeinsam mit ihnen für ordnungsgemäße Verfahren einzutreten.

Ineffektive Asylsysteme und mangelnder Rechtsschutz

Sobald die Menschen in die Länder des westlichen Balkans zurückgeführt wurden, sehen sie sich mit weitgehend ineffektiven Asylsystemen konfrontiert. Nach Angaben von Amnesty International dauerte die Bearbeitung von Anträgen in Bosnien und Herzegowina im Jahr 2022 durchschnittlich über 400 Tage, und die Anerkennungsquoten blieben sehr niedrig – es wurde kein einziger Flüchtlingsstatus anerkannt.

Es wird deutlich, dass es für People on the Move keine ausreichenden Garantien für den Zugang zu Asyl oder anderen Formen des Schutzes gibt. Wahrscheinlicher ist, dass die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in all ihren Aspekten die Staaten des Westbalkans dazu veranlassen und ermutigen wird, noch mehr Menschen aus ihrem Hoheitsgebiet abzuschieben. Svabic weist darauf hin, dass „das serbische Abschiebesystem nicht den EU-Standards entspricht und es keine angemessenen Verfahrensgarantien gibt“. Und dass „[…] Menschen, die inhaftiert sind, keinen Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf haben, da sie keinen Anspruch auf kostenlosen Rechtsbeistand haben und nicht in einer Sprache, die sie verstehen, über Entscheidungen und Abschiebeverfahren informiert werden.“

Folgen des Deals für die europäische Migrations-politik:

Inhaftierung von Menschen auf der Flucht an den Außengrenzen der EU

Die deutsche Regierung kündigte an, dass die Grenzverfahren auf EU-Boden stattfinden und bestimmten Standards, die im Einklang mit dem Gesetz stehen, folgen werden. Allerdings werden derzeit Diskussionen auf höchster Ebene innerhalb der Regierung geführt und Vorschläge zur Externalisierung der Verfahren nach dem Vorbild des gescheiterten Modells zwischen Ruanda und Großbritannien erwogen. Die deutsche Regierung hat auch erklärt, dass es keine Inhaftierung von Personen geben wird, die außerhalb des EU-Gebietes unterwegs sind.

Die Realität an den europäischen Grenzen sieht jedoch anders aus: Von Ländern des „westlichen Balkans“ wird erwartet, dass sie die Grenzen auf die Art und Weise der EU verwalten: Inhaftierung, Zurückweisung, Abschiebung. Darüber hinaus deutet das neue Abkommen zwischen Italien und Albanien darauf hin, dass es Pläne gibt, die Inhaftierung und den angeblichen Schutz von Menschen weiter in Nicht-EU-Länder auszulagern. Dies wird auch von verschiedenen Politiker:innen – besonders von rechtspopulistischen Parteien – propagiert.

Die Erfahrung zeigt, dass dies zu mehr und größeren Lagern, schlechteren Bedingungen und unrechtmäßiger Inhaftierung führen wird. Insbesondere mit dem aktuellen Vorschlag für eine Instrumentalisierungsverordnung können die Standards für Asylverfahren und Unterbringung im Falle eines „Massenzustroms“, der durch hergestellte „Krisen“ oder angebliche „Instrumentalisierung“ ausgelöst wird, massiv gesenkt werden, wie wir es bereits an den griechisch-türkischen Grenzen im Jahr 2020, an den polnischen, lettischen und litauisch-belarussischen Grenzen im Jahr 2021 und an den finnisch-russischen Grenzen erlebt haben.

Folgen des Deals für die europäische Migrations-politik:

Pro Asyl schätzt, dass jährlich bis zu 120.000 Menschen auf der Flucht in Gewahrsamseinrichtungen an den EU-Außengrenzen festgehalten werden könnten. Auch die Inhaftierung von Menschen auf der Flucht ist bereits Realität. Der Versuch der EU, im Lager Lipa in Bosnien und Herzegowina, ohne die Zustimmung der lokalen Regierung und der Bevölkerung ein Gefängnis zu eröffnen, um Menschen an der Flucht in die EU zu hindern und Abschiebungen zu erzwingen, konnte durch die Bemühungen der transnationalen Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Akteuren und lokalen Politikern gestoppt werden. Es wurde aufgedeckt, dass die Hafteinheit im Lager Lipa, die EU-Kommissar Varhelyi als „Pilotprojekt für Gefängnisse an den EU-Außengrenzen“ bezeichnete, ohne Baugenehmigung durch die lokalen Behörden und ohne Rechtsgrundlage errichtet wurde. Das mit dem Bau des Gefängnisses beauftragte ICMPD reagierte auf die Aufklärungsbemühungen der Aktivistin mit einer einstweiligen Verfügung gegen SOS-Balkanroute. Anstatt Klarheit und Transparenz zu schaffen, wird versucht, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Die Klage wurde am 18. Juli 2023 abgewiesen.

Die Folgen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems werden für die Menschen, die auf der ‚Balkanroute‘ und in den südosteuropäischen Staaten ‘on the move’ sind, gravierend sein. Wir fordern daher von den Mitgliedern des EU-Parlaments, der Europäischen Kommission und dem Rat:

→ Stellen Sie sicher, dass Rückübernahmeabkommen nicht für eine Legalisierung von rechtswidrigen Pushbacks missbraucht werden. Wir fordern, dass das völkerrechtliche Verbot der Nichtzurückweisung als unantastbarer Grundsatz der internationalen Menschenrechtsgesetzgebung beachtet wird. Die Mitgliedstaaten dürfen Drittstaatsangehörige, die internationalen Schutzes bedürfen, nicht in Drittstaaten zurückschicken, sondern sind gesetzlich verpflichtet, die Begründetheit ihrer Asylanträge zu prüfen.

→ Die EU muss zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie finanziellen Druck, Visapolitik und die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft nutzt, um ihre eigenen Asylverpflichtungen auf die Staaten in den Grenzregionen zu übertragen und so die Flucht in die EU zu verhindern.

→ Stellen Sie sicher, dass Asylverfahren und die Versorgung von Schutzsuchenden den höchsten rechtlichen Standards der EU im Bereich der Menschenrechte – der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und anderen UN-Konventionen – entsprechen und nicht ausgelagert werden.

Wir fordern Europa auf Brücken zu bauen!

Stoppen Sie die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems!

ERSTUNTERZEICHNER*INNEN

Balkanbrücke

Blindspots

Border Violence Monitoring Network

Centre for Peace Studies

ComPass 071

Daily Integration Centre INTERGreat

frach collective

klikAktiv – center for development of social policies

SOS Balkanroute