Migrationsforschung: Kritische Perspektiven und die ‚Balkanroute‘

Perspektiven

Migrationsforschung: Kritische Perspektiven und die ‚Balkanroute‘

Die Produktion von Wissen über Migration

Die Migrationsforschung ist eine recht junge Wissenschaftsdisziplin, dabei ist die Mobilität der Menschen genauso alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Sie gewinnt allerdings erst dann wissenschaftliches Interesse, wenn sie politische Aufmerksamkeit erregt oder als etwaige Bedrohung für betroffene Gesellschaften und Staaten wahrgenommen wird. Wenig überraschend also, dass die Migrationsforschung in Deutschland lange vor allem von ökonomischen Aspekten und einem ordnenden und verwertenden Interesse der modernen Nationalstaaten im Kapitalismus geprägt war. Von der sogenannten „Gastarbeiterforschung“, über die „Ausländerforschung“ bis hin zum Integrationsparadigma –häufig standen und stehen dabei Begriffe und Kategorien im Mittelpunkt, die Gesellschaften und Kulturen als national betrachtbare, natürliche Einheiten verstehen und beschreiben.

Das erste Migrationsforschungsinstitut in Deutschland entstand 1991 an der Universität Osnabrück. Seit 2018 gibt es unter anderem auch das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), das die sieben führenden Forschungseinrichtungen zu einem Netzwerk verknüpft und neben der Forschung vor allem den Transfer neuer Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit und Politik fokussiert.

Migrationsforschung als Kritik?

Die kritische Migrationsforschung versteht sich als Gegenentwurf zu „klassisschen“, staatszentrierten Betrachtungsweisen und versucht damit, der zunehmenden Komplexität und Dynamik von Migrationsphänomenen gerecht zu werden. So betrachtet die kritische Migrationsforschung Migration auch im Kontext gesellschaftlicher Machtstrukturen und Ungleichheiten und rückt insbesondere die komplexen, heterogenen und machtförmigen Realitäten der menschlichen Mobilität und die gegenwärtigen Formen ihrer Regierung in den Mittelpunkt. In diesem Kontext entstand 2008 das „Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet)“, das sich mit Fragen von Citizenship, Gender und Intersektionalitäten, Postkolonialismus, Klassen- und Herrschaftsverhältnissen, Rassismus, Post-Migration und Critical Whiteness beschäftigt. Seit 2015, der Zeit des sogenannten langen Sommers der Migration, wird die „movements“, eine wissenschaftliche Zeitschrift für kritische und Migrations- und Grenzregimeforschung veröffentlicht, die im Kontext von kritnet entstanden ist. Alle Ausgaben sind online verfügbar.

(Kritische) Migrationsforschung und die ‘Balkanroute’

2020 veröffentlicht die „movements“ eine Ausgabe mit dem Titel „The Frontier within: The European Border Regime in the Balkans“ , die sich explizit mit (Flucht-)Migration über die ‚Balkanroute‘ beschäftigt und viele kritische Wissenschaftler*innen, die im Bereich forschen zusammengebracht hat. Empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Publikation „The Dark Sides of Europeanisation. Serbia, Bosnia and Herzegovina and The European Border Regime“, die online abrufbar ist. Schaut doch mal rein!

Migrationsforschung ist genau wie Migrationsprozesse in globale Ungleichheitsstrukturen eingebunden. Nicht überall ist die Finanzierung von Forschungsprojekten sicher, nicht überall ist die kritische Betrachtung von Mobilität politisch erwünscht, nicht jede*r wird gehört. Umso wichtiger, dass das Forschungsprojekt „The European Irregularized Migration Regime at the Periphery of the EU (ERIM)” Wissenschaftler*innen aus Südosteuropa zusammengebracht hat, um das dynamische Feld der heterogenen und teilweise widersprüchlichen Praktiken und Interaktionen verschiedener Akteure im Kontext des EU-Migrationsregimes in Südosteuropa zu betrachten. Ergebnis ist nach vier Jahren Projektlaufzeit unter anderem ein online Netzwerk von Schlüsselbegriffen, das „e-ERIM“ genannt wird. Dort werden wichtige Begriffe, Konzepte, Methoden und Eindrücke dargestellt, mit denen (Flucht-)Migration durch und aus Südosteuropa beschrieben werden kann. Die Seite ist auf Englisch abrufbar. E-ERIM ähnelt unseren Versuchen, mit Glossaren und „ABCs“ Begriffe und Konzepte in kurzen Texten zu erläutern und euch darüber mit Informationen zur Situation entlang der sogenannten Balkanroute zu informieren.

Die Autor*innen von E-ERIM wie etwa Marijana Hameršak, Uršula Lipovec Čebron oder Marta Stojić Mitrović haben lokale Expertise und können das Phänomen der ‚Balkanroute‘ in historische und soziale Kontexte einordnen – schaut euch ihre Arbeit an! Mit einigen von ihnen stehen wir in Kontakt und haben beispielsweise gemeinsam Webinare gestaltet – folgt uns auf Instagram, schaut auf unserem Blog oder der Webseite vorbei und verpasst die nächsten Aktionen nicht!

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